Präventions- und Handlungskonzept sexuelle Gewalt

Präventions- und Handlungskonzept 
Sexuelle Gewalt im veto
 
1. Zielgruppe
Die Zielgruppe dieses Konzepts sind politisch aktive Menschen im veto, veto-Umfeld (dem veto nahe politische Gruppen und Einzelpersonen, die öfter im veto sind) und Nutzer*innen/Gäst*innen von veto-Veranstaltungen.
Die Verantwortung für Versammlungen und Veranstaltungen außerhalb des vetos, (bei denen im veto aktive Gruppen beteiligt sind) liegt bei der jeweiligen Organisationsstruktur.
In einem Fall sexueller Gewalt in einer Gruppe des vetos wird der Prozess (und das bisherige und geplante Vorgehen) im Plenum kommuniziert.
 
 
2. Ziele
  • Prävention sexueller/sexualisierter Gewalt in unseren politischen Strukturen
  • Unterstützung von Betroffenen sexueller/sexualisierter Gewalt in unseren politischen Strukturen
  • Aufklärung über Formen von sexueller Gewalt & über Täterstrategien, damit sexuelle Gewalt sowie Verdeckungsstrategien erkannt und benannt werden können
  • Gemeinsame Handlungsgrundlage & Handlungsfähigkeit bei Fällen sexueller Gewalt
  • Verantwortungsübernahme für unseren politischen Raum (nicht für die politische Szene Erfurts oder andere Räume)
3. Grundhaltung/Werte/Anspruch
  • Parteilichkeit für Betroffene (allerdings können weder das vetoPlenum, noch die Kontaktgruppe eine klassische U-Gruppenarbeit leisten. Die Kontaktgruppe regt an, U-Gruppen zu bilden und verweist auf unterstützende Strukturen)
  • Keine Pflicht zur Täterarbeit (Einzelne können sich dafür entscheiden, nicht jedoch im Namen des veto)
  • Bewusstsein für und Akzeptanz von geschlechtlicher Vielfalt und der Vielfalt sexueller Orientierungen
  • Solidarischer Umgang unter Genoss*innen, auch bei Differenzen in der Bewertung von und im Umgang mit Situationen
  • Klarheit und Transparenz im Umgang mit Fällen sexueller Gewalt nach innen und außen
  • Selbstreflexion & Offenheit für Veränderung der eigenen politischen Strukturen
  • Vertrauen in die Fähigkeiten von Personen, Konflikte eigenständig lösen zu können
4. Über sexuelle Gewalt & Gewalt gegen Frauen/ LesbianGayBiTransInterQueer+ (LGBTIQ+)
Es ist gar nicht so einfach, sexuelle Gewalt zu definieren. Wir verstehen die folgende Definition und Auflistung als inhaltliche Annäherung und nicht als starren Gesetzestext.
 
4.1 Versuch einer Definition
Folgende Definition scheint uns tauglich:
Sexuelle Gewalt ist die Befriedigung sexueller Wünsche auf Kosten eines Opfers oder gegen dessen Willen wie auch alle Verletzungen, die aufgrund des vorhandenen Geschlechterverhältnisses oder zwecks Durchsetzung dessen zugefügt werden.
Der erste Halbsatz stellt die Befriedigung sexueller Wünsche des Täters in den Vordergrund, beinhaltet also die sexuelle Komponente. Der zweite Halbsatz macht deutlich, wie eng sexuelle Gewalt mit dem Geschlechterverhältnis verwoben ist und dass der Übergang von sexueller Gewalt zu anderen Formen von Gewalt gegen Frauen/LGBTIQ+ fließend ist. Das herrschende Geschlechterverhältnis wird oftmals mit Gewalt durchgesetzt – insbesondere gegen alle, die dagegen aufbegehren und/oder nicht ins cis-heteronormative Weltbild passen.
 
4.2 Formen von sexueller Gewalt & Gewalt gegen Frauen/LGBTIQ+
Die meisten Vorfälle sexueller Gewalt spielen sich im Nahumfeld des Opfers ab.
Folgende Auflistung scheint uns sinnvoll, kann aber sicher noch ergänzt werden:
  • Voyeurismus (heimliches Beobachten, auch mithilfe von Kameras)
  • Sexuelle Belästigung (Anzügliche Sprüche, taxierende Blicke, Angrabschen, ungefragte Nacktbilder erhalten/verschicken, Exhibitionismus usw.)
  • Stalking
  • Sexuelle Ausbeutung/Ausnutzung eines Machtverhältnisses zum Erlangen sexueller Dienstleistungen
  • Sexuelle Nötigung (gemeint ist: körperliche Grenzen werden verletzt bspw. Penetration durch Gegenstände) & Vergewaltigung
  • Mord (Femizide/Ermordung von LGTBIQ+)
Sprachliche, emotionale & psychische Komponente
Sexuelle Gewalt ist in den allermeisten Fällen nicht rein körperlich, sondern hat sprachliche, emotionale und psychische Komponenten. Je enger die Beziehung zwischen Betroffenen und Tätern, desto größer die Rolle der psychischen Ebene. Gewalt in Beziehungen beschränkt sich häufig nicht auf sexuelle Gewalt, sondern es kommt zu umfassenderen Formen von Erniedrigung, körperlicher Gewalt, psychischer Manipulation oder emotionalem Missbrauch.
 
Hassgewalt
Insbesondere LGBTIQ+ sind von Hass-Gewalt betroffen – also Gewalt, die gegen sie ausgeübt wird, weil sie nicht ins cis-heteronormative Weltbild passen. Es kann auch heute noch gefährlich sein, im öffentlichen Raum als schwul, lesbisch oder trans erkannt bzw. dafür gehalten zu werden. Allein der Anblick einer Drag Queen, einer trans Person oder eines lesbischen oder schwulen Paares kann Gewalttaten auslösen. Die Täter sehen sich als Vollstrecker eines von ihnen fantasierten Mehrheitswillens. LGBTIQ+ gelten für sie als minderwertig und vogelfrei. Die Konsequenz ist eine strukturelle Beschränkung von Freiheit im Alltag von LGBTIQ+ – wenn etwa vor jedem verliebten Blick, vor einer Umarmung, vor einem Kuss im öffentlichen Raum zuerst die Umgebung gecheckt werden muss; wenn Menschen sich nicht sicher im öffentlichen Raum bewegen können; wenn sie bestimmte Orte aus Angst vor Gewalt meiden oder eher das Fahrrad als öffentliche Verkehrsmittel nehmen, um nicht Opfer von homo- und transphoben Vorfällen zu werden. Auch heterosexuelle cis Frauen können mit Hassgewalt konfrontiert sein, bspw. wenn sie sich öffentlich politisch äußern und mit einer Tirade von Drohungen & sexueller Belästigung in der digitalen oder analogen Öffentlichkeit konfrontiert werden oder sich anderweitig nicht entsprechend der Rollenerwartungen verhalten und mit Gewalt dafür bestraft werden.
 
4.3 Abgrenzung zu verletzendem Verhalten & Alltagssexismus/Klischees
Nicht immer ist es leicht zu erkennen, ob es sich bei einer Situation oder einem Vorfall um Gewalt handelt oder nicht. Die Übergänge zu verletzendem Verhalten, verinnerlichtem Alltagssexismus oder anderen Klischees bzgl. LGBTIQ+ können fließend sein. Folgende Beispiele sollen eine mögliche Differenzierung beleuchten. Während wir mit Verletzungen untereinander, Konfrontationen mit verinnerlichten Klischees und inhaltlichen Differenzen einen Umgang finden wollen, müssen wir sexuelle Gewalt im veto nicht tolerieren.
Ausgangspunkt unseres Handelns ist natürlich die Wahrnehmung der Situation durch den*die Betroffene*n. In den allermeisten Fällen wird sexuelle Gewalt nicht vom Umfeld erkannt und es braucht die Perspektive der Betroffenen.
Mit einer Person wird Schluss gemacht oder ein*e Partner*in geht fremd – das tut weh, doch in der Regel würde man nicht von Gewalt sprechen. Eine Person manipuliert und isoliert ihre*n Partner*in über Jahre, hält diese*n klein und rechtfertigt dabei immer auch Seitensprünge, für die der*dem Partner*in die Schuld gegeben werden. In dem Fall würde man von Partnerschaftsgewalt sprechen.
Eine Person wird aus Versehen mit dem falschen Pronomen angesprochen – das kann mitunter sehr verletzend sein und sich in eine lange Reihe von Diskriminierungs- und auch Gewalterfahrungen fügen, aber auch hier würden wir noch nicht von einer Gewalthandlung sprechen. Die Person wird von jemanden absichtlich und konsequent mit falschen Pronomen und Vornamen angesprochen? Hier würden wir von Mobbing und Transphobie (Deadnaming) sprechen.
Ein Genosse ist schwul und nachdem eine Genossin das erfährt, wird er plötzlich intensiv zu seinem Sexleben befragt. Das ist kein angemessenes Sozialverhalten (Othering oder Exotisierung von nicht-heterosexuellem Begehren), aber auch hier würden wir nicht von einer Gewalthandlung sprechen. Nachdem darauf hingewiesen wurde, dass das Privatsache sei, geht es immer so weiter, der Genosse wird ständig ungefragt sexualisiert? Dann würden wir von sexueller Belästigung sprechen.
Eine neue Person im veto macht einen dummen Spruch über das Frauen-Aufreißen – das ist sexistisch und hoffentlich gibt jemand ordentlich kontra. Aber wir sind mit sexistischen Rollenklischees aufgewachsen, die Konfrontation und auch der Streit darüber gehören zu unserer politischen Arbeit. Eine Form struktureller Gewalt ist es, Frauen im veto sexistisch zu beleidigen und runterzumachen, im Plenum zu ignorieren und konsequent nicht ernst zu nehmen.
 
Sexuelle Gewalt zeichnet sich dadurch aus, dass die Verletzung und das Leid der anderen Person willentlich in Kauf genommen wird oder sogar voll beabsichtigt ist. Sexuelle Gewalt zerstören die Grundlagen einer gemeinsamen, politischen Arbeit, eines sozialen Miteinanders und die persönliche Bindung unter Personen. Wer sexuelle Gewalt erfahren hat, ist der gewaltausübenden Person gegenüber zu nichts verpflichtet. Das heißt: Der Täter trägt die Verantwortung für sein Handeln und die Konsequenzen – nicht der*die Betroffene. Das heißt auch, der*die Betroffene ist nicht verpflichtet, dem Täter bei seiner Auseinandersetzung zu helfen oder ihm zu verzeihen.
 
4.4 Sexuelle Gewalt im Geschlechterverhältnis
Bei sexueller Gewalt handelt es sich um Gewalt im Geschlechterverhältnis – dieses bildet den Rahmen der Gewalthandlung. Die ausgeübte Gewalt ist verknüpft mit der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und der Diskriminierung von LGBTIQ+. Das spiegelt sich entsprechend auch in den Statistiken wieder. In der Regel sind die Täter Männer, Betroffene sind Frauen. LGBTIQ+ sind im Laufe ihres Lebens mit hoher Wahrscheinlichkeit von Gewalt betroffen. Wir möchten die Augen offen halten für alle Formen sexueller Gewalt, sei es in homosexuellen oder heterosexuellen Beziehungen, seien die Betroffene FLINTA* oder cis Männer. 
 
5. Täterstrategien
Im Folgenden wollen wir einige Täterstrategien benennen. Sie können jeweils in unterschiedlicher Reihenfolge, Intensität, Kombination und Form auftauchen und sind hier idealtypisch erläutert.
 
Imageaufbau
Täter versuchen, ein möglichst positives Bild von sich aufzubauen. Sie stellen sich als emanzipiert und feministisch dar – einerseits um Vertrauen zu potenziell Betroffenen aufzubauen, andererseits um ihre Glaubwürdigkeit im Falle eines Vorwurfs/Verdachts/Vorfalls zu erhöhen und die Glaubwürdigkeit von Betroffenen zu untergraben.
 
Sich unersetzlich machen
Der Täter platziert sich bewusst-strategisch in Machtpositionen innerhalb der politischen Strukturen, wird zur wichtigen Schlüsselfigur und hält andere aktiv aus entsprechenden Positionen heraus.
 
Sexualisierte Annäherung und Steigerung
Der Täter versucht eine Desensibilisierung für körperliche Berührungen. Es finden scheinbar zufällige Berührungen und Grenzüberschreitungen statt. Betroffene gehen oftmals darüber hinweg, weil sie vermuten, es sei ein Versehen oder sie hätten es sich bloß eingebildet oder sich getäuscht. Die Annäherungen und Übergriffe können daraufhin von den Tätern schrittweise gesteigert werden. Betroffenen fällt es daraufhin immer schwerer, sich dagegen zu wehren, weil sie schon die ersten Übergriffe nicht abgewehrt haben.
 
Abhängigkeit, Isolation und Aufmerksamkeitsentzug
Täter versuchen, eine Abhängigkeit der Betroffenen ihnen gegenüber aufzubauen, indem sie sie beispielsweise aus der Szene, von ihren Freund*innen oder ihren Genoss*innen isolieren oder sie dazu bringen, Kontakte mit ihnen einzustellen. Ein spätes ‚Nein‘ kann dann dazu führen, dass die Betroffenen alleine dastehen und die Aufmerksamkeit des Täters verlieren, der die einzige Bezugsperson geworden ist (gemeint ist auch systematische Destabilisierung der Betroffenen in einer Beziehung). Genauso kann mit gezieltem Aufmerksamkeitsentzug eine betroffene Person zu ungewollten Handlungen gezwungen werden.
 
Schuldgefühle
Täter versuchen den Betroffenen Schuldgefühle bzgl. der Geschehnisse einzureden, z.B. weil sie angeblich nicht deutlich genug ‚Nein‘ gesagt oder scheinbar Andeutungen gemacht hätten.
 
Geheimnis
Gerade in linken Strukturen ist es sinnvoll, gewisse Dinge nicht anzusprechen. Dies machen sich Täter zu Nutze, um ihr Verhalten geheim zu halten. Kein Treffen o.ä. ist so geheim, dass nicht angesprochen werden kann, wenn etwas passiert ist.
 
Mobilisierung von Freund*innen und Genoss*innen
Der Täter schafft sich eine Lobby aus Freund*innen oder Genoss*innen, die seine Taten relativieren oder vertuschen wollen, Betroffenen die Schuld geben oder die Tat kollektiv anzweifeln.
 
Unglaubwürdigkeit der Betroffenen/Rufmord
Täter versuchen, Betroffene unglaubwürdig darzustellen, z.B. indem behauptet wird, dass die betroffene Person angeblich etwas gegen den Täter hätte und sich deshalb Dinge ausgedacht hätte; dass sie labil und unzurechnungsfähig oder ein*e Lügner*in sei.
 
Täter-Opfer-Umkehr
Der Täter stellt sich als eigentliches Opfer dar – gegen ihn würde eine Schmutzkampagne gefahren, sein Leben würde zerstört, er sei der Leidtragende der Geschichte.
 
6. Prävention
Prävention sexueller Gewalt nimmt alle in die Verantwortung und überlässt dieses Feld nicht den Betroffenen, die viel zu oft für dieses Thema adressiert werden. Dieser Verantwortung stellen wir uns mit dem vorliegenden Konzept.
 
6.1 Willkommenskultur 
Menschen, die ins veto kommen, um mitzumachen, werden offen angesprochen und ihnen werden die Struktur und die Prinzipien unseres Arbeitens erklärt. Basis unserer Arbeit ist Vertrauen. Um dieses ineinander und nicht nur personenbezogen aufbauen zu können, braucht es einen offenen Umgang mit mehreren Personen. Wenn nur eine Person Vertrauensperson ist, entstehen Hierarchien und daraus die Gefahren des „Missbrauchs“ und der Geheimhalterei, die einen offenen Umgang mit Problemen verhindert. Alle bekommen Zutritt und werden in die Aufgaben „eingearbeitet“. Die Strukturen, Zuständigkeiten und Arbeitsweisen sind allen bekannt. Besonders Augenmerk ist auf Hierarchien zu lenken. Die Positionen und Rollen/Zuständigkeiten sollten klar kommuniziert werden.
Wenn neue Menschen dazu kommen, machen wir eine kurze Vorstellungsrunde (Menschen können sich mit Namen und Pronomen vorstellen, müssen es aber nicht). Wenn eine neue Person im Plenum ist, finden wir zwei Ansprechpersonen für die erste Zeit. 
 
6.2 Kommunikations- und Fehlerkultur
Es herrscht ein anerkennender Umgang untereinander. Es gibt ein Selbstverständnis inklusive Kommunikationsvereinbarungen und -wegen (Plenum, Mailingliste). Es gibt Ansprechpartner*innen, die allen bekannt sind. Es gibt einen offenen Umgang mit herangetragener Kritik. Es braucht die Bereitschaft, offen über Probleme und Fehler sprechen zu können. Alle Aussagen müssen erst eimmal gehört und ernst genommen werden. Dazu gehört auch, dass über Gefühle und persönliche Grenzen gesprochen werden kann. Es braucht Möglichkeiten und Strukturen, um das anzusprechen. Auf der anderen Seite verbleiben vertrauliche Dinge im veto-Plenum.
 
6.3 FLINTA*-Strukturen stärken
FLINTA* müssen selbstverständlich in allen „Strukturen“ dabei sein können und brauchen trotzdem eigene Strukturen, um aktiv zu werden. Zur Vernetzung, zum Austausch, zum Skillsharing und zum Empowerment. Es braucht auch Räume für Austausch und Organisierung ohne cis-männliche Genossen. Auch bei der Organisation von Veranstaltungen ist darauf zu achten, nicht-cis-männliche Akteur*innen und Expert*innen einzuladen.
 
6.4 Präventionskonzepte bei Großveranstaltungen
Bei Großveranstaltungen braucht es andere Handlungsmöglichkeiten/Konzepte:
  • Awareness-Struktur und Rückzugsraum
  • Informierung von Bands, Schutz, Kneipencrew und Partyorga-Crew über unser Konzept
  • Schnelle Handlungsbereitschaft für den Abend und Ansprechbarkeit danach
  • Lichtkonzept
Wenn die Räumlichkeiten weiteren Gruppen zur Nutzung/Gestaltung überlassen werden, werden die Verantwortlichen über unsere Konzepte informiert (How to veto, How to Veranstaltungsorga, Präventions- und Handlungskonzept Sexuelle Gewalt im veto). Für Künstler*innen wird eine gekürzte Version des Konzepts zur Verfügung gestellt.
 
6.5 Gegen Mackertum und Männernetzwerke
Wir wollen einen Raum ohne Mackertum und Männernetzwerke und deshalb soll es keine rein cis-männlichen Aufgaben geben bzw. nicht auf Dauer angelegte Organisierungsformen, die nur aus cis Männern bestehen. Bei Netzwerken oder Bündnissen achten wir darauf, auch mit nicht-cis-männlichen Genoss*innen in Kontakt zu treten.
Mit Mackertum meinen wir nicht, dass jemand mal prollig oder laut ist, sondern wir meinen jegliche Männerdominanz, beispielsweise sich systematisch als Checker bei Polit-Aufgaben zu inszenieren, Aufgaben und Macht an sich zu reißen und anderen Inkompetenz zu unterstellen.
 
6.6 Geschlechtliche & sexuelle Vielfalt akzeptieren
Menschen, die das veto nutzen, sind frei, ihre geschlechtliche und sexuelle Identität zu leben. Sie entscheiden darüber, wie sie angesprochen werden möchten. Es gibt keinen Druck, sich zu „bekennen“ oder zu „outen“.
 
6.7 All-Gender-Training
Folgende Dinge helfen, Übergriffe bei Kontaktsport zu vermeiden:
  • vor dem Training wird über die Art und Weise des Trainings und  der Körperlichkeiten informiert und das Einverständnis dafür eingeholt
  • vor Hilfestellungen in Form von Berührungen, wird nachgefragt
  • auf den geschlechtergetrennten Umkleidebereich wird hingewiesen
Es ist Aufgabe der Sportgruppen, darüber das Gespräch zu führen. 
 
6.8 Feministische/queere Aufklärungs- und Bildungsarbeit (auch mit männlichen Genossen)
Es braucht fortlaufend eine Auseinandersetzung mit dem Geschlechterverhältnis.
 
7. Kontaktgruppe
Im veto gibt es eine Kontaktgruppe, die ansprechbar für Betroffene von sexueller Gewalt im veto ist. Darüber hinaus hat die Gruppe aber auch eine Verantwortung für das veto. Die Kontaktgruppe muss Abwägungen zwischen Wünschen und Interessen der Betroffenen sowie der Verantwortung für den politischen Raum treffen. Sie ist daher keine Unterstützungsstruktur. Ihr Handlungsbereich beschränkt sich lediglich auf die Vermittlung von Informationen zwischen den Betroffenen und dem veto-Plenum. Die Kontaktgruppe kann jedoch bei Bedarf unterstützendes Info-Material und Kontakt zu entsprechenden Anlaufstellen für Betroffene, Unterstützer*innen und Angehörige bereitstellen.
Über eine*n einzelne*n Betroffene*n hinaus tragen wir die Gesamtverantwortung auch für weitere potenzielle Betroffene. Wenn es weitere potenzielle Betroffene gibt, sollte dies ins veto-Plenum kommuniziert werden (s. 8.4 Thematisierung im Plenum). Es werden keine Entscheidungen über die Köpfe der Betroffenen hinweg gefällt, sondern sie werden, wenn sie das wünschen, in alle Entscheidungen einbezogen und wissen über diese Bescheid. 
Die Kontaktgruppe besteht aus zwei bis drei Personen (nicht nur FLINTA* & aus verschiedenen Politgruppen im veto) und rotiert alle ein bis anderthalb Jahre. Das veto-Plenum entscheidet über die Besetzung der Kontaktgruppe. Es handelt sich um eine vertrauensvolle und verantwortungsvolle Aufgabe. Die Personen, die in der Kontaktgruppe arbeiten, sollten nicht in einer Unterstützungsgruppe für Betroffene oder Verantwortungsgruppe für Täter sein (um Rollenkonflikten vorzubeugen). Wenn eine Person aus der Kontaktgruppe freundschaftlich mit dem Täter verbunden ist, sollte sie sich aus dem Fall zurückziehen. Die Kontaktgruppe ist erreichbar unter folgender Mailadresse: betroffenensupport-veto@riseup.net 
 
8. Handlungsleitfaden
 
8.1 Betroffene
Falls du betroffen von sexueller Gewalt im veto bist, kannst du dich an die Kontaktgruppe wenden und mit ihr das weitere Vorgehen innerhalb des vetos besprechen. Wenn du dir unsicher bist, ob der Kontakt zum veto schon der richtige Schritt ist, kannst du dich auch anonym an die Kontaktgruppe oder ans veto wenden, Freund*innen, Genoss*innen oder Beratungsstellen wie das Frauenzentrum Brennessel, das Frauenhaus in Erfurt, den antisexistischen Support Erfurt, das Queere Zentrum Erfurt, QueerWeg in Weimar, Trans-Inter-Aktiv Mitteldeutschland oder andere zu Rate ziehen. Auch wenn du dir unsicher bist, ob dein Anliegen Platz im veto hat, kannst du auf die Kontaktgruppe zugehen. Lieber einmal zu viel gefragt als es nicht anzusprechen. In jedem Fall obliegt es dir, was und wie viel du erzählen möchtest.
Bei Veranstaltungen kannst du dich an das Awareness-Team bzw. die Ansprechpersonen wenden. Im Nachhinein von Veranstaltungen stehen dir die Kontaktgruppe (betroffenensupport-veto@riseup.net) oder veto-feminists zur Verfügung.
Wenn wir mitbekommen, dass eine Person aus dem veto-Umfeld außerhalb des vetos angegriffen wurde oder Betroffene sexueller Gewalt wurde, gehen wir auf diese zu und bieten unsere Unterstützung an. 
 
8.2 Vertrauenspersonen von Betroffenen
Es kann sehr hilfreich sein, wenn sich Betroffene Vertrauenspersonen oder eine Unterstützungsgruppe suchen, die sie unterstützen und für sie sprechen kann. Eine Unterstützungsgruppe ist eine Unterstützungsstruktur, die im parteilichen Sinne für die Bedürfnisse, Wünsche und Interessen einer betroffenen Person einsteht. 
Auch die Vertrauenspersonen können sich (anonym) an die Kontaktgruppe/an das veto wenden. 
 
8.3 Erstgespräch mit Betroffenen 
Das Erstgespräch mit einer*einem Betroffenen wird durch die Kontaktgruppe erfolgen. Es wird zugehört und das Erzählte wird nicht in Frage gestellt. Unsere Erfahrung ist, dass Betroffene genau wissen, wann ihre Grenzen verletzt wurden – wir schenken ihnen Glauben und nehmen sie ernst. Die*der Betroffene wird nicht gedrängt, Dinge zu erzählen, die sie*er nicht erzählen möchte. Dieses Gespräch findet vertraulich statt, das heißt ohne Absprachen und Einbeziehen der Betroffenen wird nichts weiter erzählt – mit einer Einschränkung: Die Kontaktgruppe kann nicht versprechen, das Erzählte geheim zu halten, wenn es weitere potenziell Betroffene geben könnte. 
Während des Erstgesprächs mit der betroffenen Person oder ihren Unterstützer*innen werden mögliche Maßnahmen des Raums dargelegt. Im Mittelpunkt steht hierbei, dass das veto als Raum möglichst sicher für Betroffene gestaltet werden soll und eine Gefahr für andere Nutzer*innen abgewendet werden muss.
Beispielhafte Handlungsoptionen sind:
  • eine „Betretungspause“ für die gewaltausübende Person, die von der Kontaktgruppe vorübergehend bei Unklarheiten und offenen Fragen ausgesprochen werden kann
  • ein „Hausverbot“ für die gewaltausübende Person, das zum Schutz von Betroffenen und Nutzer*innen vom veto-Plenum ausgesprochen werden kann
  • ein „Begegnungsverbot“ auf Wunsch der*des Betroffenen – hierbei wird von einer externen Person zwischen betroffener und gewaltausübender Person vermittelt, um eine Begegnung im veto zu verhindern
  • ein „Funktionsverbot“, das vom veto-Plenum ausgesprochen werden kann, um die gewaltausübende Person von Möglichkeiten des Machtmissbrauchs fernzuhalten
  • etc.
In jedem einzelnen Fall ist eine individuelle Reaktion des vetos von Nöten. Daher ist es nicht möglich, im Vorhinein die Umsetzung einer der beschriebenen Handlungsoptionen vorauszusetzen oder auszuschließen.
 
Nach dem Erstgespräch wird sich die Kontaktgruppe über das weitere Vorgehen verständigen und sich erneut mit der*dem Betroffenen in Kontakt setzen, um das weitere Vorgehen gemeinsam abzustimmen.
 
8.4 Thematisierung im Plenum
Wenn die Kontaktgruppe mit der*dem Betroffenen zur Entscheidung gelangt, dass der Vorfall ins veto-Plenum getragen werden muss, weil er politische Konsequenzen für den Raum hat, soll die Form sexueller Gewalt benannt (anhand der vorstehend aufgeführten Formen und Definitionen sexueller Gewalt) werden. Dies soll helfen, im Plenum eine fundierte Entscheidung zu treffen und sie für abwesende Genoss*innen verständlich zu erläutern. Dabei werden keine Details oder persönlichen Informationen genannt. Wenn die*der Betroffene das wünscht, bleibt alles anonym. Das Ganze geschieht immer in Absprache mit der*dem Betroffenen nach den Prinzipien der Ehrlichkeit, Klarheit und Transparenz über weiteres Handeln.
 
8.5 Wünsche der Betroffenen 
Betroffene sexueller Gewalt können unterschiedliche Wünsche und Bedürfnisse bezüglich des Umgangs mit dem Geschehenen haben – diese nehmen wir ernst. Wenn sich Betroffene an das veto wenden, stehen wir hinter ihnen und versuchen ihnen bestmögliche Unterstützung zukommen zu lassen.
Die Definitionsmacht des Geschehenen liegt also bei der betroffenen Person. Die Sanktions- bzw. Handlungsmacht, also die Entscheidung über die konkreten Maßnahmen im veto, orientiert sich möglichst an den Wünschen der Betroffenen,liegt jedoch beim Raum. Aus diesem Grund kann es sein, dass nicht alle Wünsche der betroffenen Personen wie erwartet umgesetzt werden. Gründe dafür liegen in der politischen Verantwortung des Raumes sowie Erfahrungen mit Fällen, bei denen von mehreren Betroffenen weit auseinanderklaffende bzw. gänzlich gegensätzliche Wünsche geäußert wurden.
Falls der Wunsch besteht, dass absolutes Stillschweigen herrschen und keine Konsequenzen folgen sollen, sollte sich lieber an andere Strukturen gewandt werden, da wir bei einem potenziellen Risiko für andere Personen die Verantwortung für unseren politischen Raum übernehmen müssen. In diesem Fall sind der Kontakt zu Freund*innen, Genoss*innen, Frauenhäusern und/oder Beratungsstellen für Unterstützung und Beratung vermutlich hilfreicher.
 
8.6 Reaktionen von anderen Beteiligten/aus dem Umfeld
Wenn es dazu kommt, dass das Geschehene im veto besprochen werden muss, dann ist das Plenum der Ort dafür. Auf keinen Fall sollen im Nachgang Einzelpersonen auf die Betroffene zugehen, wenn sie sich das nicht wünscht und dadurch Gerüchte, Konflikte und Neben-Schauplätze entstehen. Falls es bei Einzelnen aus dem Plenum Unsicherheiten gibt, die nicht im Plenum angesprochen werden können, können diese auch an die Kontaktgruppe getragen werden.
 
8.7 Unterstützung von außen holen, wenn sie gebraucht wird
Auch die Kontaktgruppe kann sich ggf. Unterstützung von außen holen, wenn sie Fragen oder Unsicherheiten erkennt oder überfordert ist – zum Beispiel rechtliche oder psychosoziale Beratung. Dafür werden ggf. Mittel des vetos bereitgestellt.
 
8.8 Kommunikation mit Tätern 
Auf das veto bezogene Konsequenzen für den Täter werden dem Täter durch die Kontaktgruppe möglichst schnell und konkret mitgeteilt (unter Angabe einer Begründung der Entscheidung). Dabei geht es nicht um Details aus der Betroffenenperspektive, sondern um die politische Entscheidung des vetos. Dafür gibt es ein gemeinsames Gespräch. Das veto wird keine sogenannte Täterarbeit machen; zu diesem Zweck gibt es professionelle Beratungsstellen gibt. Wir vermeiden Situationen, in denen wochen- oder monatelang über einen potenziellen Täter gesprochen wird, ohne dass dieser davon weiß oder der Vorfall bearbeitet wird.
Als linke Struktur glauben wir jedoch auch daran, dass Menschen ihre Fehler erkennen, akzeptieren und aufarbeiten können. Daher besteht auch für gewaltausübende Personen die Möglichkeit, sich bei der Kontaktgruppe zu melden und getroffene Maßnahmen zu besprechen. Eine Rückkehr in den Raum soll möglich sein, sofern eine glaubhafte Aufarbeitung und Verhaltensänderung stattgefunden hat. Als Ansprechstruktur steht die Kontaktgruppe zur Verfügung.
 
9. Nix in Stein gemeißelt
Das alles ist ein Konzept und Handlungsleitfaden, den wir im veto gemeinsam ausgearbeitet und beschlossen haben. Das ist unsere gemeinsame Handlungsgrundlage. Aber uns ist auch bewusst, dass jede Situation eine individuelle Lösung braucht und auch jede Betroffenheit sowie damit verbundene Bedarfe anders sind. Wenn wir merken, dass Dinge aus dem Konzept falsch sind oder nicht funktionieren, werden wir das Konzept anpassen. Hinweise dazu sind gewünscht. Es soll eine stetige Evaluation des vorliegenden und angewendeten Handlungskonzeptes geben.
 
überarbeitete Version 2025

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